#06: Hessen rockt und rollt: Von Burns, Becks, Sepp, Matze, Basti, Thommy & Co.

// Wetzlar, August-Bebel-Sporthalle // Mainz, mein Schreibtisch

Vor der Rekordkulisse von 1.900 Zuschauern feierte der RSV Lahn-Dill am vergangenen Samstag den zweiten Titel der aktuellen Spielzeit und damit den zehnten Deutschen Meistertitel der Vereinsgeschichte. Im Finale hieß der Gegner Mainhatten Skywheelers – übrigens gab es die gleiche Paarung bereits im Pokalfinale. Hessen rockt und rollt also – ein Bild, was sich auch im aktuellen Kader des Team Germany widerspiegelt. Für die Eurobasketball 2013 in Frankfurt hat Bundestrainer Nicolai Zeltinger nicht weniger als acht Rollstuhlbasketballer aus dem Bundesland nominiert, das sich zu den dicht besiedelsten und wirtschaftskräftigsten in ganz Deutschland zählen darf. Eine echte Heim-EM also, geht man von der Wahlheimat von Haller, Böhme, Magenheim & Co. aus.

Jan Haller & Thomas Böhme

Jan Haller & Thomas Böhme

Wie versprochen, widme ich mich in meinem aktuellen Blog-Beitrag etwas detaillierter dem Kader, der im Sommer nach Gold greifen will. Wohl gemerkt: Für die Spieler aus Wetzlar sind in diesem Jahr vier Titel möglich, schließlich steht auch noch die Endrunde um die Champions League in Spanien an. „Vier Titel wären allerdings echt der Wahnsinn“, schrieb mir Jan Haller via Kurzmitteilung, als ich ihn darauf aufmerksam machte, dass es ja doch eher schlecht um den Rollstuhlbasketball in Deutschland bestellt sein dürfte, wenn er gleich an vier Erfolgen beteiligt wäre. 

Gemeinsam mit Thomas „Thommy“ Böhme bildet Jan Haller für viele die neue Generation von Rollstuhlbasketballern. Für mich sind die beiden so etwas wie Shootings-Stars, Publikumslieblinge. Marco Reus und Mario Götze quasi – auch wenn der 24-jährige Haller diesen Vergleich als eingefleischter 96-Fan sicher nicht hören mag. Für mich als Fußgänger-Basketballer ist der ehemalige Bonner so etwas wie ein Musterprofi, einer der Rollstuhlbasketball lebt, twittert, bloggt und über seinen Facebook-Account kommuniziert. Auf dem Feld gibt Haller immer Vollgas, wirkt hochkonzentriert und überzeugt mit der wohl größten Spannweite der Liga. Thomas Böhme ist für viele Deutschlands größtes Talent. Unglaublich schnell, wendig und wurfstark – und an ein Leben und an den Sport im Rollstuhl gewöhnt. Er sorgt für kreative Momente, für die „Aaaahhhs“ und „Ohhhhs“ im Publikum. Lediglich körperlich muss Böhme laut Bundes- und Vereinstrainer Zeltinger noch zulegen, zu leicht wird der gebürtige Bayreuther teilweise noch geschoben. 

Björn Lohmann

Björn Lohmann

Die Reihe des Lahn-Dill-Blocks wird ergänzt durch Björn Lohmann, den hier alle nur „Burns“ nennen (für nicht Fans der gelben Bewohner von Springfield: C. Montgomery Burns ist der Besitzer des Atomkraftwerks und der Arbeitgeber von Homer Simpson). Ein unglaublich intelligenter und erfahrener Spieler, der nicht durch große Momente auffällt, aber das Spiel lesen kann und viele Dinge richtig macht. Christoph Küffner, Teammanager der Nationalmannschaft, spricht immer vom „Fernsehsessel“, in dem Lohmann übers Feld rollt. Zu ihrer Premiere bei einer EM kommen dagegen Center Felix Schell und Forward Marco Zwerger, beide ebenfalls vom RSV Lahn-Dill. Der 23-jährige gebürtige Bayreuther Schell gilt als eine der deutschen Centerhoffnungen, bei dem mir spontan immer die langen Arme sowie das „Zielen“ vor dem Wurf in Erinnerung bleibt. Zwerger, der mit nunmehr 34 Jahren zu seiner ersten Nominierung kam, darf definitiv in die Kategorie Routine und Abgezocktheit gesteckt werden. Der gebürtige Ellwanger gehörte schon 1999 dem Kader der U22-Auswahl an, die in Paris erstmals die Junioren-EM für Deutschland gewinnen konnte. 

Das Team Germany 2013

Das Team Germany 2013

Von den Skywheelers aus Frankfurt kommt das Trio Magenheim-Lehmann-Wolk. Letztgenannter ist „der beste Kapitän“ den es gibt, so Küffner. Sepp Wolk ist gemeinsam mit Johanna Welin aus München zum Coverboy der „Frankfurt dreht am Rad“-Kampagne auserkoren. Beim ersten Selection Camp zeigte mir der  4.0-Spieler mit spaßigen Aktionen in den wohlverdienten Pausen, wie einfach, wie unkompliziert und vor allem mit wieviel Humor, diese Jungs mit ihrer Behinderung umgehen. Ohne Frage ein Riesentyp. Basti Magenheim gefällt mit seiner sympathischen bayrischen Art, die durch den Müncher Dialekt geprägt wird. Im spanischen Gasol-Trikot flitzt Magenheim übers Parkett, avanciert als „Glue Guy“ zum Motivator für seine Mitspieler und abseits der Halle glänzt der 26-jährige als intelligenter Gesprächspartner – unter anderem beim Final Draw im Frankfurter Römer. Lars Lehmann ist Kapitän der Frankfurter Rollstuhlbasketballer, war lange nicht in der Nationalmannschaft aktiv und kehrt nun zur Heim-EM zurück. Lehmann macht das Spiel schnell, ist erfahren und vereint damit die von Zeltinger oft gepredigte Verbindung zwischen „Athletik und Abgezocktheit“. 

Dirk Passiwan aus Trier und André Bienek sind die „Popstars des Rollstuhlbasketballs“, vielleicht ein wenig die Stars im Bundesadler-Team. Passiwan ist mit schlanken 491 Punkten, darunter 15 Dreiern, der Topscorer der RBBL und dürfte auch im Team Germany zu den wichtigsten offensiven Kräften zählen. Der Scharfschütze von den Goldmann Dolphins Trier ist ein ruhiger Vertreter, der sich nicht in den Vordergrund stellt und durch seine herzliche, bodenständige Art gefällt. Bienek spielt aktuell in Italien bei Cantu, der einzige „Auslandsprofi“ quasi. „International Studies“ hat der 3.0-Spieler an der University of Wisconsin Whitewater studiert und gleichzeitig für die UWW Warhawks Rollstuhlbasketball gespielt. „In Whitewater haben wir manchmal mehr als zehn Trainingseinheiten in der Woche gehabt“, so André Bienek, dessen Stärken vor allem in der Defensive liegen. Außerdem im Team Germany stehen Matthias „Matze“ Heimbach (Jena Caputs), der als 1.0-Punkte Spieler vor allem als Guard für viel Wirbel auf dem Parkett sorgen soll, und Thomas „Becks“ Becker von den Köln 99ers. Der 35-jährige darf ebenso in die Schublade „Erfahrung“ gesteckt werden. 

Insgesamt kann man dem Duo Zeltinger/Küffner nur zu diesem Kader gratulieren. Den internationalen sportlichen Vergleich kann ich (noch) nicht beurteilen – menschlich sind diese Jungs ohne Frage mehr als eine Klasse für sich. Ein dankbarer Job für mich, hier dabei zu sein.

 

Fotos: Andreas Joneck // Mediashots Werbefotografie

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